Signifikant abnormal
Von Bryant Urstadt
Technology Review 12/2007, Report
Am Mittwoch, dem 8. August 2007, kurz nach Börsenschluss, kamen 200 der intelligentesten Wall-Street-Banker in einem Konferenzraum der Investmentbank Merrill Lynch im World Financial Center zusammen. Normalerweise ist in dem 34-stöckigen Gebäude im Sommer nicht viel los, aber an diesem Tag waren die Reihen gut gefüllt. Denn die Börse spielte zu dieser Zeit verrückt – Kurseinbrüchen am Morgen folgte oft ein rasanter Anstieg in den letzten Handelsminuten, Aktien solider Unternehmen mit guten Ergebnissen stürzten ab, Anteile an Firmen mit fraglichen Zukunftsperspektiven zogen unerwartet an.
Die Top-Banker im Merrill-Lynch-Hochhaus wollten der Frage nachgehen, ob das die ersten Anzeichen einer tiefer gehenden Krise waren. Im Mittelpunkt der Konferenz standen die Auswirkungen der Probleme am sogenannten Subprime-Markt, über den mäßig kreditwürdige Bauherren zu hohen Zinsen Geld geliehen bekommen. Die Zinsen sind obendrein variabel, und im Sommer waren sie so stark gestiegen, dass viele Schuldner sie nicht mehr bezahlen konnten. Schon im Juni hatte das dazu geführt, dass zwei Hedgefonds der Investmentbank Bear Stearns kollabierten und Investoren 1,6 Milliarden Dollar verloren.
Die Ausbreitung der Probleme vom Kreditmarkt auf Hedgefonds und dann auf den normalen Aktienmarkt erwischte viele auf dem falschen Fuß. Dabei hätten zumindest die Konferenzteilnehmer es eigentlich besser wissen sollen: Sie waren Vertreter einer Wall-Street-Elite der neuen Art, der sogenannten „Quants“. Diese hochbezahlten Banker kommen meist aus der naturwissenschaftlichen Forschung und versuchen im neuen Umfeld, mit Zahlen-Zaubereien die Märkte in den Griff zu bekommen. Sie verwenden viel Zeit und Mühe darauf, Risiken zu berechnen und mithilfe von Computermodellen Kursbewegungen vorauszusagen. Doch tatsächlich dürften ausgerechnet von Quants ersonnene hochkomplexe Finanzprodukte dafür verantwortlich gewesen sein, dass die anfängliche Subprime-Krise weitere Märkte in Mitleidenschaft zog.
Quants stehen also mitten im Zentrum der Schwierigkeiten, die das weltweite Finanzsystem bedrohten und nach Ansicht mancher Experten immer noch bedrohen. Aber wer genau sind diese Quants? Und was machen sie wirklich? Zunächst einmal ist „Quant“ ein dehnbarer Begriff, dessen Bedeutung sich mit der Zeit verändert hat. Ursprünglich wurden damit Helfer im Hintergrund bezeichnet, die mit quantitativen Analysen die Banker an der Kundenfront beim Verkauf von Finanzprodukten unterstützten. In den 1980er- Jahren zog es immer mehr Forscher, hauptsächlich Mathematiker und Physiker, in die Finanzbranche. Aus einer fremden Welt kommend, stießen sie zunächst auf Ablehnung: Damals habe es als unangemessen gegolten, sich in der Gegenwart von klassischem Bankpersonal über Mathematik oder Programmiersprachen zu unterhalten, erinnert sich der Physiker Emanuel Derman, der 1985 bei Goldman Sachs angefangen hatte, in seinen Memoiren. Doch der Erfolg gab den Quants recht – und sie begannen, die als abschätzig gemeinte Bezeichnung mit Freude für sich selbst zu benutzen. Heute wird sie in der breitesten Definition für jeden gebraucht, der sich mit mathematischen Fragen in der Finanzbranche beschäftigt. Dazu gehören so unterschiedliche Aufgaben wie die Preisfindung für Finanzinstrumente, die Risiko-Evaluation und die Suche nach profitablen Mustern in Handelsdaten.
Ein Quant sieht die Märkte durch die Brille des Mathematikers – ganz anders als der klassische Wall-Street-Händler oder Verkäufer, dessen Erfolg eher von Intuition und persönlichen Kontakten abhängt. Dabei stoßen die Quants tief in die Weiten der höheren Mathematik vor – einfache Wahrscheinlichkeitsberechnung wird von ihnen gern als „Volksmathematik“ abgetan. Sie wollen die Märkte auf Grundlage einer strikt nummerischen Betrachtung verstehen und davon profitieren, sonst zählt nichts: „Wenn Sie glauben, dass man wichtige Informationen durch Treffen mit dem Management eines Unternehmens bekommt, dann habe ich Ihnen nichts zu sagen“, sagt etwa Herbert Blank...
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